Wie stellen wir uns die Zeit vor?
Verschiedene komplizierte Theorien darüber bestehen ja schon - hier kommt eine Liste von einfachen
Alles beginnt damit, daß nach landläufiger Auffassung die Zeit eine gerade Linie ist - mit einer Richtung. Jeder glaubt zu wissen: Nach gestern kommt heute, nach heute kommt morgen. Die fortgeschrittenen Benutzer der Zeit kennen in Grundzügen ihren Einstein und die Relativitätstheorie. Oder die Kurze Geschichte der Zeit" von Stephen Hawking.
Was, wenn dem nicht so ist? Wenn sich die Zeit noch anders verhält, nicht so einfach und berechenbar? Oder wenn Zeit eine Konstruktion ist, die doch nicht zum Menschen paßt?
Folgende Beobachtungen hat jeder schon gemacht: Die Behauptung, daß sich Geschichte wiederholt" und man deshalb aus der Geschichte lernen soll. Und? Hat man aus der Geschichte gelernt? Nein, oder? Einfach deshalb, weil sich Geschichte nicht genau genug wiederholt, als daß man aus ihr lernen könnte.
Oder die Feststellung, daß der Mensch auch seine eigenen Fehler wiederholt: Das könnte einerseits daran liegen, daß Menschen nur beschränkt lernfähig sind, oder daß sie immer ein eingefahrenes Programm abarbeiten müssen - aber so pessimistisch wollen wir lieber nicht sein.
Nein, es liegt nämlich an der Zeit. Während alle meinen, sie lebten auf einem geraden Zeitstrahl mit einem Gestern - Heute - Morgen, verläuft die Zeit doch ganz anders, und Kurven sind noch das harmloseste, was einem dabei begegnen kann. Im folgenden also verschiedene Modelle.
a.
Da ist einmal die Spirale: In ihr ist die Zeit gleichmäßig um eine gerade Achse aufgewickelt, wie bei einer Sprungfeder aus Metall oder einem Schraubengewinde. Tendenziell bewegt sich die Zeit, und der Mensch darin, geradeaus in eine Richtung, aber mit einem stetigen lokalen Richtungswechsel: Immer nach einer Umdrehung kommt man fast wieder am Ausgangspunkt an. Fast - im Sinne von: Beinahe. Man hat sich unablässig voran bewegt, dabei einiges gesehen, gelernt, erlebt, nur um irgendwann das Gefühl zu haben, daß es nicht vorwärts geht, man aber trotzdem älter geworden ist.
b.
Außer der Spirale gibt es die Schnecke: Bei der schneckenförmigen Zeit ist man ähnlichen Erscheinungen unterworfen wie bei der einfachen Spirale - mit dem Unterschied, daß die Schnecke ein Ende hat, welches innen liegt. Die Schnecke gibt es in zwei Formen: Die flache Ausführung - diese stellt man sich so vor, daß die Windungen nur einfach von außen nach innen führen, wie bei einer Uhrfeder. Man erkennt sie daran, daß sich das Leben scheinbar immer nur im Kreis dreht, man in immer kürzeren Abständen die immer gleichen Erlebnisse hat, und irgendwann ist es vorbei.
c.
Aber es gibt auch die drei-dimensionale Schnecke: Sie ähnelt tatsächlich einem Schneckenhaus, mit ansteigenden Windungen, oder dem berühmten Gemälde vom Turm zu Babel. Dieses Bild ist fast schon ein Sinnbild der schneckenförmigen Zeit - außen um den Kegel des Turms führt eine Straße in Windungen in die Höhe. Die Windungen werden mit zunehmender Höhe immer kleiner - und am Gipfelpunkt ist alles vorbei.
Bei beiden Schneckenformen ist allerdings die Dimension, die Größe, nicht so klar: Beträgt die Länge vom Startpunkt zum Zentrum-Mittelpunkt-Endpunkt ein Menschenleben, oder ist die Länge die Lebensdauer des Kosmos? Und vor allem: Muß denn die Bewegung auf der Schnecke immer nach innen erfolgen - oder ist es möglich, am Startpunkt innen anzufangen und in endlos größer werdenden Kreisen nach außen getragen zu werden? Aber wohin?
Die Spirale und die Schnecke haben eine entscheidende Gemeinsamkeit - sie erklären das Deja-vue-Erlebnis: Dadurch, daß man sich im Kreis dreht, ist es möglich, einen Blick voraus auf die nächste Runde zu werfen, wenn man nur genau genug in der richtigen Richtung sieht. Kommt man dann in der nächsten Runde an dieser Stelle vorbei, hat man das - zutreffende - Gefühl, man hätte das alles schon einmal erlebt, gesehen oder wenigstens geträumt.
d.
Bisher waren die Vorstellungen der Zeit ja mehr oder weniger eine Linie, nur was außerhalb um die Linie herum liegt, ist völlig ungeklärt. Und: Ist das denn so zwingend? Ein schöne Idee ist die Vorstellung, die Zeit sei kugelförmig. Dafür spricht, daß man sich an vergangene Ereignisse erinnert, was auf der Kugel bedeutet, daß man sich selbst von hinten sieht. Man könnte aber auch ankommen, bevor man abgefahren ist. Ein Richtungswechsel brächte einen dahin, wo man schon war - oder in völlig neue Regionen. Alles nur eine Frage der Größe der Kugel.
e.
Komplexer als die Kugel ist die Wolkenform. Von phantasielosen Menschen wird dann zum Vergleich immer der Blumenkohl genannt, aber eine Wolke und ein Blumenkohl, wo ist denn da die Ähnlichkeit? Die Zeit in Form einer Wolke: Sie wird vom Wind weitergetragen, ereignet sich, ohne Unterlass. Sie ballt sich zusammen, steigt auf, regnet sich ab, der Mensch in der Zeit erlebt ereignisreiche Tage, in denen er Mühe hat, dem Geschehen zu folgen, abgelöst von langweiligen ereignislosen Prioden. Die Zeitwolke verdunkelt den Tag, erzeugt Blitz und Donner, Krieg und Frieden, Hunger, Elend, Mord und Totschlag. Manchmal fällt Schnee.
f.
Vielleicht besteht die Zeit aber aus vielen kleinen Inseln, wie Grasbüschel im Moor. Der Mensch springt von einem zum anderen, dazwischen liegt der Schlaf. Manche Inseln geben beim Betreten nach, andere sind fest, aber man weiß vorher nie genau, welche. Einige Inseln sind größer, andere so klein, daß man sich nicht lange darauf halten kann und nasse Füsse bekommt. Man muß dann weiterspringen.
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