Was ist ein Lichtjahr?         
Stromrechnung für zwölf Monate.         

Unwissenschaftliche Scherzbolde

 

ANSCHREIBEN IM RAHMEN
EINES ELEKTRONISCHEN
HILFESYSTEMS

der Haupttext befindet sich in der Anmerkung weiter unten

 

Vorrede

Moderne Kommunikation sieht anders aus, aber fast immer anonym: Man sendet schriftliche Botschaften an Mobiltelefone, inseriert in elektronischen Kennenlern-Systemen oder sucht Unterstützung in weltumspannenden Hilfeplattformen, deren einzige Grenze die Sprache ist. Kennzeichen all dieser Kommunikation ist, dass der genaue Zeitpunkt des Nachrichtenursprungs festgehalten und veröffentlicht wird - wozu auch immer das gut sein mag. Daraus eröffnen sich zuweilen die überraschendsten Einsichten. Etwa so:
 

vollanaloges logbuch des raumfisches entenschweiss - 20h 09min 18sec - wir schreiben montag, den 27. oktober 2003, in einem klitzekleinen sonnensystem am äussersten rand einer schlecht beleuchteten und überaus unbeheizten galaxis

hallo! (blecherne Stimme denkt sich der Leser dazu)

es ist jetzt genau-huuu ... naja, wollnmalgrosszügigsein ... 20:09 Uhr 18sec.*, und im display der anzeige ist zu erkennen, daß um genau 22:01 Uhr 00sec. des heutigen datums, also in knapp zwei stunden, im elektronischen hilfesystem folgender eintrag erfolgen wird:

           
    > pseudonym: ZAIDA
   
    > letzte änderung: 27.10.2003      22:01 Uhr    
    > tätigkeit: Naturwissenschaftlerin    
    > ich suche: Hilfe    
    > thema: Computer    
    > text: Ich habe folgendes Problem mit meinem Rechenknecht...    
           

Soweit die Informationen, die den interessierten Leserinnen und Lesern hier auszugsweise zur Verfügung gestellt werden sollen. Eine Naturwissenschaftlerin würde für die Sache mit der Zeit sicher eine *relativ* (hint! hint!) einleuchtende Erklärung finden. Der Autor dieses Kommentars mit seiner künstlerisch-vergeistigten Halbbildung kann sich hingegen allenfalls auf die Religion berufen und an ein Wunder glauben.

* so spät war es jedenfalls, als dieses Schreiben niedergeschrieben zu werden begann. Inzwischen ist es später.

Noch später, wenn der/die LeserIn dieses liest

Natürlich sehr relativ später.

Ende der Vorrede

 


 

Haupttext!

Anmerkung des Herausgebers:

I.

Das Rätsel des vorzeitigen Eintrags, genaugenommen des "vorzeitigen Lesens des Eintrags vor dem Eintrag des Eintrags", wird man zu demselben Zeitpunkt gelöst haben, zu dem es möglich ist, die erwähnte Galaxis in einer halben Stunde einmal zu umrunden, "Milchstrasse" wird sich dann als Name dafür galaxisweit eingebürgert haben.

Vorläufig wird man sich auch daran gewöhnt haben, daß man eine "Strasse" auf einer Strasse umkreisen kann - dieser Widerspruch wird nicht einmal die Linguisten vom Hocker reissen, sondern nur immer wieder kleine Kinder in dem Alter, in dem sie ein und dasselbe Wort hundert oder fünfhundert mal vor sich hin sprechen und dabei die erstaunlichsten Zusammenhänge entdecken.

Und noch einige Generationen später wird ein Linguist endlich dieses primitive Verfahren als Methode zur wissenschaftlichen Untersuchung der erstaunlichsten Zusammenhänge entdecken und damit eine neue Schule gründen, welche den Arbeitstitel "Schule der permissiven Regressivität" erhält.

Doch zurück zu unserem Ausflug: Braucht man heute noch ein halbe Stunde auf dem inneren Ring, um die Innenstadt zu umrunden, wird man bald schon, in vielleicht nicht einmal tausend Jahren, in der Lage sein, in derselben Zeit die Galaxis zu umkreisen.

Da das ein Weg von mehreren hunderttausend Lichtjahren ist, wird man mit erstaunlicher Geschwindigkeit fahren müssen, um vor der Rush-Hour und vor den Nachbarn daheim im Parkhaus zu sein. Wenn einem dann der picklige Typ aus dem dritten Stock mit seiner zeitverkrümmten und bosonenverbeulten Infra-Raum-Karre den letzten Parkplatz weggeschnappt hat, wird man sich fragen: "Was habe ich bloß die ganze Zeit gemacht?"

Man wird sich in diesem Fall aber voraussichtlich überhaupt keine Gedanken mehr über das Phänomen der ZEIT machen, weil man die Zeit wohl endgültig im Griff haben wird, wenn man die Milchstrasse in einer halben Stunde ... ich wiederhole mich.

... sondern eher existentielle Probleme wälzen, zum Beispiel: "Wie konnte ich vernagelte kaltgepresste Dampftrappe bloß auf die extradämliche Idee kommen, in einer halben Stunde die Milchstrasse zu umkreisen?" Nach diesem schmerzhaften Anfall von Selbstkritik wird man die eigene Schleuder widerwillig und zudem sehr halblegal im zwölften Stock an die Balkonbrüstung binden.

Drinnen wird man den Protonenmixer anstellen und sich noch einen schnellen Cocktail aus Nebenprodukten, Nebelprodukten und Abfallstoffen der Kernfusion mixen - die sind sehr gehaltvoll und nicht mehr so teuer wie noch vor achthundert Jahren. Außerdem passen sie jetzt in den Kühlschrank, während es früher für das Hantieren damit noch einen ganzen dünn besiedelten Quadranten des Sonnensystems brauchte.

Wie zuletzt im Kindesalter wird einem zugleich mit dem Drink der absonderliche Begriff "Dampftrappe" aufstoßen. Diese Form der subjektiv explosionsartigen Erkenntnis kann durchaus mit dem Cocktail zusammenhängen, sprich: Man wird von dem Zeug ganz schön betrunken - "die Suppe dröhnt".

Aber ganz hellsichtig bemerkt man dann:

"Andererseits!"

Wegen des Aussterbens der Trappen und einer dadurch verursachten Rückentwicklung der Zivilisation im zweistelligen Prozentbereich wird man zwischenzeitlich auf die Idee gekommen sein, mechanische Trappen mit Dampfantrieb herzustellen - die gefürchteten A-Trappen (hiachhiach, kleiner Scherz des Autors. Entspannen!) - welche später durch elektronische Trappen abgelöst wurden, die inzwischen auch schon wieder ausgestorben sind, da das Trappen-Betriebssystem nicht weiter supportet wurde und die Trappentreiber einem tückischen Virus, dem sogenannten virtuellen Trappentreibervirus, VTTV, zum Opfer gefallen waren.

Während dieser ganzen Zeitspanne wird sich der Begriff "Dampftrappe" für die gute alte dampfbetriebene Trappe erhalten haben - während Forscher auf allen bewohnten und beheizten Monden des Sonnensystems an einer biologischen Rekonstruktion der klassischen Trappe aus exogenetischem Saatgut arbeiten.

In dem Moment, wo die ersten biologischen Trappen wieder zu flattern beginnen, wird auch der zivilisatorische Rückschlag endgültig aufgeholt sein - so daß die Trappen eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen wären. Insgesamt ein weiterer Beweis dafür, wie überflüssig es war, sich mit der Frage der Zeit zu befassen.

II.

Die Lösung des Phänomens der Zeit ist übrigens einfach, da mittlerweile jeder sich in einer persönlichen Zeitblase befindet, die er beim Verlassen des Hauses anzieht und mit sich herumträgt. Am schwierigsten waren dabei die zeitdichten Reißverschlüsse - also solche, wo die mitgebrachte Zeit nicht heraustropft. Man nannte sie Zeitverschlüsse.

In einem frühen Entwicklungsstadium war es immer wieder zu lustigen Unfällen mit undichten Zeitverschlüssen gekommen: Lustig natürlich nur für die anderen - die Nichtbetroffenen und Zuschauer. Von einem erzählte man sich, daß der Reissverschluss aufgegangen war und er sich im Pleistozän wiederfand - zwischen Saurieren und Megaschachtelhalmen. Man hatte noch versucht, ihn mit einer Zeitkapsel zurückzuholen - aber der Trick an der Zeitblase ist ja, daß man unterwegs nicht austeigen kann. Die verhinderten Retter philosphierten noch lange über die Dialektik von Lehren und Lernen zwischen Pleistozänernem (Saurier) und Zeitreisendem (Temponaut) - sie machten bei einem Photonenbier spitze Bemerkungen darüber, wer da wohl von wem gelernt habe, und was?

Ein anderer war bei überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve getragen worden und gegen einen entfernten Trabanten der Beteigeuze geprallt. Der Begriff ist dabei wörtlich zu nehmen, da er bei einer Kollision dieser Geschwindigkeit in der Tat den Trabanten von der Beteigeuze entfernte, die *danach* mit einem Planeten weniger auskommen mußte. Die blecherne Raumschleuder hielt allerdings und der Airbag versah seinen Dienst - die Rückfederwirkung schleuderte den Raumfahrer quer durch die Galaxis zurück, bis er am anderen Ende von einem schwarzen Loch eingefangen wurde und mit diesem seither in einer leicht elliptischen Umlaufbahn ein relativ stabiles System bildet.

Ein dritter hatte das Pech, sich zu verfahren. Nach mehreren vollbiologischen Kernfusionsdrinks kam er auf die besonders dumme Idee, auszusteigen und nach dem Weg zu fragen. Ungeschickterweise geschah dies ausgerechnet an einem Ort, an dem die Zeit seit mehreren Generationen aufgehört hatte, zu existieren - seit mehreren Generationen der Zeit. Überraschend fand er sich also an einer schwer zu beschreibenden Stelle des Weniger-als-Nichts wieder. Beim Umdrehen stellte er fest, daß folgerichtig auch seine persönliche Zeitblase verschwunden war.

Wenig später erschuf er Himmel und Erde.

 

 
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© 2004 Carsten, der  <°((( ~~<