MEIN BRACHLIEGENDESTALENT
I.
Tja, es muß auch solche Leute geben: Wie mich, zum Beispiel. Der eine kann jonglieren, ein anderer kann gut pünktlich sein, ein dritter kann zur Zufriedenheit seines Chefs arbeiten. Alles Talente, die man erst mal haben muß. Ich kann, daß Leute nicht tun, was ich sage.
Was gibt's da nicht zu verstehen?
Ja, bestimmt: Egal, was ich irgendwem empfehle er wird mit großer Wahrscheinlichkeit das Gegenteil tun. Oder gar nichts, günstigstenfalls. Jedenfalls nicht das, was ich ihm geraten habe.
Wobei, ich betone das, ich dränge meinen Rat ja niemandem auf, jedenfalls nicht vielen. Sondern sie kommen viel öfter zu mir.
Das ist an sich ziemlich frustrierend, weil: Ich bin im großen und ganzen ein ehrlicher Mensch, behaupte ich mal, der Leser kann das ja zum Glück nicht nachprüfen. Wenn ich jemand berate, dann habe ich sein Wohl im Sinn, will ihn irgendwie nach vorn bringen, sein Schicksal geht mir nah und seine Zukunft liegt mir am Herzen. Mindestens.
Dann habe ich mir nach seiner Anfrage Gedanken gemacht, mir ausgemalt, was wohl das beste für ihn wäre, meine persönlichen Erfahrungen auf seine Situation übertragen und die so gewonnenen Erkenntnisse weitergegeben - und es war mit Sicherheit anstrengend. Bei den Klienten handelt es sich immer um vernünftige Leute, nicht dumm, mit den allerbesten Prognosen für den Fortgang der Dinge.
Mein Gegenüber hört mir im Normalfall geduldig zu, wir diskutieren lange. Manchmal rufen die Leute später noch mehrmals an und fragen nach, wie das denn im Detail so sei.
Anschließend tun sie das genaue Gegenteil dessen, was wir als geeignete Lösung besprochen hatten.
Da kann man drauf wetten mehr als 93-prozentige Sicherheit!
Es ist zum Verzweifeln. Warum nur? Warum??! Was mache ich bloß falsch?
Selbst kluge und einsichtige Leute, aber auch meine Freunde, handeln so. Wenn sie dann auf die Nase gefallen sind, geben sie ohne Umschweife zu, daß sie dem Ratschlag nicht gefolgt sind. Meine einleuchtende Frage "Warum denn nicht?" können sie nicht beantworten. Nie.
II.
Inzwischen bin ich weiter: Vielleicht kann ich dieses Talent ja zu Geld machen.
Man könnte Wetten darauf abschließen, wie ein einzelner Proband sich verhalten wird.
93-prozentige Sicherheit!
Das wäre schon mal ein schöner Anfang. Grundlage ist allerdings die Einrichtung einer bestimmten Umgebung, eines geeigneten Testfeldes: Es darf nur Ja-Nein-Antworten geben, alles muß eindeutig sein, keine Zweifel möglich.
Schwierig, das, und wer würde sich auf solche Wetten schon einlassen?
Ach was, Geld hat mich sowieso noch nie interessiert. Ich kann mir noch ganz andere Anwendungsbereiche vorstellen - den Weltfrieden, zum Beispiel.
Überaus bescheiden, nicht wahr?
Wie das gehen soll? Na, etwa so: Ich gehe in die professionelle Beratungsbranche und dann -
"Ähm, Hoheit, dieses kleine, nichtsnutzige Volk dort in der Nachbarschaft, das müßte ganz dringend mal restlos ausgemerzt werden. Ein langer, schmutziger Krieg könnte da Wunder wirken. Ihr habt kürzlich schon angedeutet daß..."
"Ach nö, ich hab's mir überlegt" würde Saddam Hussein dann sagen, "wir wollen den Iran jetzt mal in Ruhe lassen. Kriege kosten auch immer so viel Geld."
Ich wieder: "Aber man könnte für den Krieg die Steuern erhöhen, Durch- und Durchlaucht."
"Ich verschenke mein Vermögen an die Bedürftigen. Der Prophet predigt sowieso das Geben von Almosen."
"Emir, die neuen Chemiewaffen müssen unbedingt ausprobiert werden, womöglich wirken sie gar nicht richtig!"
"Ah, die Dinger waren doch bloß zum Üben für die Ingenieure. In der Chemiefabrik kann man ganz prima Dünger herstellen."
"Majestät! Bedenkt, was es zu gewinnen gibt, für Euch, Euer Land: Ruhm! Ehre! Unermeßliche Reichtümer! Den Ehrenvorsitz im Paradies! Ein eigenes Kapitel im Koran!"
"Das ist alles eitler Unfug!"
"Exzellenz, Ihr wart doch noch nie religiös!"
"Der Glaube ist der Weg zur inneren Ruhe."
Nachdem ich Ihn etwa zwei Monate lang bearbeitet und von der wirklichen Notwendigkeit wenigstens eines klitzekleinen Krieges überzeugt habe, stimmt er mir doch endlich aus vollem Herzen zu.
Kurze Zeit später beauftragt er seine fähigsten Fachleute mit dem Bau von Bewässerungprojekten, Schulen und Krankenhäusern, der Verräter!
Die Geschichte würde damit enden, daß das kleine nichtsnutzige Nachbarvolk einen höchst überflüssigen Krieg mit 200.000 Toten vom Zaun bricht. Sie haben einen Berater mit derselben Begabung, wie ich sie besitze, der ihnen ganz dringend vom Krieg abgeraten hat. Weil aber mein Brötchengeber seine Gewohnheiten doch nicht so vollständig umstellen mag, müßte ich mich um meine Gesundheit sorgen.
Was mache ich bloß falsch?
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