Narrenhände verzieren Tisch und Wände
Volksmund, zweckmäßig abgewandelt


 

 
Der folgende Text ist eine Entgegnung auf ein Statement, das innerhalb eines Literaturprojektes abgegeben wurde. Das pikante daran war, daß der Urheber dieses Statements selbst glaubte, eine Lanze für Graffitti-Kunst zu brechen - aber tatsächlich doch ganz was anderes tat.
Die vollständige Diskussion findet sich hier, im März, und dann den links erscheinenden Namen folgen.
 
 

GRAFFITTI UND ANDERE WELTANSCHAUUNG


Schon allein, damit hier wenigstens einer anderer Meinung ist, habe ich eine eigene Meinung dazu, und die will ich jetzt zum besten geben. Mußt ja nicht weiterlesen.
 
Jetzt also: Randgruppenkommentar von einem, der mit dem Bau zu tun hat. Wahrlich ich sage Euch: Die verstehen keinen Spaß da - und zwar quer duch die ganze Branche!
 
"Es ist manchmal Kunst, oft nur Sachbeschädigung! (...) Legalisierte Grafitty haben keine Auswirkung auf die Situation. Sie werden nichtmal respektiert und früher oder später meist stümperhaft überschmiert."
 
In diesem Zitat steckt schon das ganze Problem: Wer Graffittis malt, benutzt fremden Malgrund. Ja, und?
 
Und fremde Graffittis zu übermalen ist eigentlich Sachbeschädigung, nicht? Ich entnehme das der doch sehr wertenden Ausdrucksweise "stümperhaft überschmiert". So sieht das bestimmt der Graffittikünstler.
 
Das schöne ist ja, dass selbst ein kunstinteressierter Intellektueller oder ein fortschrittlich gesinnter Mensch wie unser Bruno Zacke sofort zum Spießer mutiert, wenn er's zu ein wenig eigenem Besitz gebracht hat, in diesem Fall ein selbstgemaltes Graffitti - im fortgeschrittenen Fall z.B. ein Ex-Linker, der heute Hausbesitzer ist, das soll's ja geben.
 
Wenn ich mit den Leuten aus der Baubranche argumentiere, und das sind eigentlich immer gnadenlose Graffittihasser, versuche ich, aus der praktischen Richtung an die Sache heranzugehen. Sobald Du's mit KUNST versuchst, gerätst Du nämlich binnen Sekunden in Rechfertigungsnotstand: Siehe oben.
 
Und, was den einen als bodenloser Kitsch erscheint, ist für den anderen die ganz große Kunst. Das lohnt ein kleines Experiment, das jeder für sich durchführen kann, am besten auf neutralem Grund, der Boden unter den Graffitti ist ja sozusagen vermint: Sprich ein paar Tage lang jeden Deiner Freunde auf Fotografie an, irgendwas, was Du gerade siehst, überall steht doch Werbung rum, es geht nur darum, zu bemerken, daß vermeintliche QUALITÄT überhaupt keine Rolle spielt.
...?
 
Dochdoch, Du kannst sogar mal ganz laut und legitim über nackte Mädels sprechen, der Mantel der Kunst schützt Dich - das ist ein uraltes und erprobtes Verfahren.
Aber Du wirst sehen, daß die Meinungen zur Fotografie seeeeeehr unterschiedlich sind, man glaubt ja gar nicht, wieviele Leute man mit Weichzeichner, Sterneffekten oder einem Sonnenuntergang glücklich machen kann. Wahrscheinlich wirst Du am Ende von einigen Deiner Freunde bitter enttäuscht sein, weil Dir nie aufgefallen war, was die für'n wirklich miesen Geschmack haben.
 
Nun bedenke, daß das Deine Freunde sind. Jetzt stell Dir einen Unsympathen oder ein echtes Arschloch mit halb so schlechtem Geschmack vor! Na?
 
Keiner soll erzählen, daß Kunst in irgendeiner Weise bewertbar ist. Es gibt nur Kunst, die gerade DICH anspricht - und solche wo nicht. Jedenfalls gibt es keine GUTE Kunst, und genausowenig GUTE Graffitti.
Von den echten Künstlern (gemerkt? Da waren keine Anführungszeichen, harhar...) wird Graffitti sowieso allenfalls herablassend zum Kunsthandwerk gezählt, und spätestens wenn der Herr Künstler Omas Miethaus geerbt hat, ist das Sachbeschädigung, klaro! Dann kommt der Künstler sofort mit dem Argument "Ja, wenn das GUTE Graffitti wären..."
 
Q.e.d.
 
Also, wenn ich mit den immer wirklich hartnäckigen Leuten aus der Baubranche zu tun habe, argumentiere ich praktisch:
"Wieso?!?!? (unschuldiger Augenaufschlag, ich weiß ja, was die mir jetzt gleich sagen wollen) Die machen doch nichts kaputt!!! So eine Wandfarbe - oder ein Putz - hat doch eine Funktion: Und die ist nicht beeinträchtigt."
Dann kommt normalerweise ein unartikulierter Wortschwall, daß das doch schreiend häßlich sei und die ganze Wandfarbe im Eimer, "... und wenn das wenigstens SCHÖNE Graffitti wären ... aber so ..."
 
Wo habe ich das bloß schon mal gehört?
 
Die Funktionsargumentation geht dann so weiter, daß ich sage: "Höher als 2 Meter kommen die eh nicht. Und auch nur da, wo man drauf stehen kann. Eine Leiter haben die wenigsten dabei." Warum soll man sich nicht damit abfinden, daß alle Wände mit einer kleinen Standfläche davor bis in 2 Meter Höhe bemalt sind - NA UND? Die Wand hat halt nicht die Farbe, die sich der Hausbesitzer vorgestellt hat, aber eben auch bloß bis in 2 Meter Höhe.
In der S-Bahn wirst Du ständig von Behelfsmusikanten vollgespielt, außerdem lautstark angeschnorrt, im teuer bezahlten Kino quält man Dich mit Werbung und zutiefst überflüssige Hunde scheißen die ganze Straße zu. Das alles erträgt der brave Bürger ohne zu murren. Da kommt auch keiner mit "Ja, wenn das GUTE Hundescheiße ..."
 
Naja, ist doch wahr! Schlechte Graffitti und Tags sind weniger Beleidigung für das Auge als die meisten Klamotten von H & M , und wir wollen schon gar nicht von Daimler-Chryslers Autos reden.
 
Der einzige Haken: Zerkratzte Scheiben funktionieren nicht mehr, Scheiben sind nunmal zum Rauskucken da, denke ich. Vollgemalte Scheiben (kenne ich nur von alten New Yorker Fotos) funktionieren auch nicht. Aufgeschlitzte Sitze auch nicht. Vollgemalte Sitze funktionieren schon - sobald die Farbe trocken ist.
 
Aber, wen's wirklich stört: Warum beschmieren denn die Narrenhände? Warum gibt es denn Graffitti, präziser formuliert: Warum gibt's denn so viele schlechte Graffitti von universalunbegabten Sprayern und Taggern? Na?!
 
Na, weil es so schön verboten ist, Mensch!
Erst Spraydosen klauen und dann ein bißchen verbotene Sachen damit anstellen - schöööööööön!
 
Also: Wer sich an sowas stört muß das nur legalisieren und ganz doll Werbung dafür machen - sobald das ein akzeptables Hobby für alle Generationen geworden ist, geht die Sache den Bach runter.
Daß das mit der Loveparade funktioniert, sollte einem doch Hoffnung machen - warum nicht auch mit Graffitti?
 
Wenn ich diese Kunstform loswerden wollte (will ich ja nicht), ich würde Fernsehwerbung für Graffitti senden. Sagen wir mal, der Innenminister, mit Anzug und Weste, Basecap falschrum auf und Spraydose in der Hand, stellt sich hin und sagt: "Kinder! Jugendliche! Junge Erwachsene! Nicht unter drei täglichen Tags! Yo!" und dann kommt eine gaaaanz coole Ansage mit Thomas Gottschalk oder Peter Maffay und den Fischer-Chören - und nach zwei Jahren ist der Spuk vorbei.
 
 
 
 
P.S.: Die KONSERVATIVSTE BRANCHE der Erde, die Juristerei und Rechtsprechung nämlich, geht übrigens in letzter Zeit dazu über, Graffitti als Kunst zu betrachten und Sprayer freizusprechen.
 
Na denn gute Nacht - Revolution, ick seh schwarz für dir!
 

 

 
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© 2002 Carsten, der  <°((( ~~<