UNSER FREUND


I.

Wir haben einen Freund, der hin und wieder den Blumenladen seiner Eltern betreut, wenn die verreist sind. Sowie ihre Wohnung und die Katzen - sagt er. Dann hat er nicht mal Zeit für ein Bier, lebt solide, behauptet, daß er früh aufstehen muß und fährt demonstrativ mit einem klobigen Lieferwagen durch die Gegend. Wenn wir ihn besuchen wollen, werden wir in eine typische Studentenwohnung eingeladen, in einer nicht so bedeutenden Gegend der Stadt. Die Wohnung macht einen seltsam aufgeräumten Eindruck. Unser Freund erzählt uns manchmal von seinem Studium – gesehen haben wir ihn dort noch nie. Seine Eltern sind auffällig oft auf Reisen. Und eigentlich haben wir auch seine Eltern noch nie gesehen. Das geht seit Jahren so. Ganz allmählich beschleicht uns der Verdacht, daß das alles ganz anders sein muß. Nennen wir es eine Notlüge.

Wir stellen uns das so vor:

Eigentlich ist er der aufgehende Stern am Blumenhändlerhimmel, unfaßbar reich; der Erbe einer uralten Blumenhändlerdynastie, die mit Marco Polo und den ersten Rhododendren von Europa Besitz ergriff. Gemessen in Tulpenzwiebeln ergibt sein Vermögen einen Berg so hoch wie der Mount Everest.

Er lebt in einer monumentalen Villa, umgeben von gewaltigen Bäumen, in Räumen, die so groß sind, daß es ein Echo gibt, mit der Einrichtung, die noch von den Urgroßeltern stammt, womöglich vom Begründer der Dynastie: Dunkel, düster, schwer, eichen - bezahlt mit den Tränen unzähliger holländischer Gewächshausbesitzer. Vom Tor des umgebenden Anwesens bis zum Haus ist es zu Fuß eine halbe Tagesreise.

Der Großvater hat bereits die Blumenschenkpflicht zum Valentins- und zum Muttertag im kollektiven Unbewußten verankert, eine Gesetzesvorlage war damals nur knapp gescheitert. Während unser Freund für uns nicht zu sprechen ist, mehrt er das Konzernvermögen durch Warentermingeschäfte mit Veilchen und Vergißmeinnicht.

Es ist ihm peinlich, das vor seinen Freunden zuzugeben, oder ihnen die Sache mit der Aufwartefrau, der „Perle“, zu erklären. Die Studentenwohnung in der Arbeitergegend hat er, um lästigen Fragen zuvorzukommen, und sie wird auch von der „Perle“ betreut. Der Lieferwagen wird nur dann aus der Garage geholt, wenn sich die Termine von Freundeskreis und Blumenimperium überschneiden. Er meint wohl, daß das glaubwürdiger wirkt. Außerdem kann man sich in dem Wagen unauffällig umziehen, wenn die gestärkten Hemden und die Krawatte in den Musikclubs uncool kommen würden. Wahrscheinlich wird der Lieferwagen sonst von einem Chauffeur gefahren, oder er steht in der Garage neben dem Lamborghini und dem Land-Rover.

Zur weiteren Tarnung hat unser Freund sich eine clevere Ausrede einfallen lassen: Wenn es wieder einmal zu Gefechten mit der Tulpenmafia gekommen ist, oder ihn eine zufällig hearbfallende Blumenkiste gestreift hat, erzählt er begeistert von seinem Sport – dem Boxen. Wer von könnte das schon unterscheiden: Ein Streifschuß oder ein rechter Haken – für uns sieht das alles gleich blutig aus.

Manchmal glauben wir aber auch, daß er gar keine Eltern hat, sondern irgendwie auf ganz andere Weise diese Erde betreten hat. Wer jetzt an Klonen, Außerirdische oder schwarze Magie denkt, liegt genau im Bereich unserer Vorstellung: Wir sollten uns mal darüber unterhalten.

Das würde auch besser seine reichen literarischen Aktivitäten erklären, die von einem „Studenten“ ja nicht ernsthaft zu erwarten sind.
 

II.

Schnitt. Filmscript.
Serientitel: BLUMEN – vom Aufstieg eines unermeßlich reichen Erben
Musik.
 

III.

Kürzlich brachte er zu einer Veranstaltung ein älteres Paar mit, das uns als „meine Eltern“ vorgestellt wurde: So lange die Leute nicht sprachen, hätten wir diese Legende beinah geglaubt. Niemand, auch nicht die engsten Freunde, hatte vorher die Eltern gesehen, so dass ein argloser Mensch darauf hereinfallen konnte. Sie sahen äußerlich auch fast wie echte Eltern aus, ein bisschen zu chic vielleicht.

Irgendwann fiel uns aber auf: Diese Menschen waren ein wenig zu nett, ein wenig zu freundlich, ein wenig zu diesseitig, um wirklich echt zu sein.
Man glaubt es nicht. Welch ein Aufwand: Er hat doch tatsächlich Elterndarsteller engagiert, um von seiner wahren Existenz abzulenken!

Gerade hat er sich wieder einmal abgemeldet - um den „Blumenladen“ zu hüten.
 
 

... might be continued ...

 

 

 

 
Zurück zum Index
© 2002 Eckhard, Nicole & Carsten, der  <°((( ~~<