it's nice to be a preiss
might be higher to be a bayer
but the allerhighest rank is: to be an oberfrank

 
südlicher Volksmund

 

 

 

Hier kommt jetzt was für starke Nerven. Berufsbetroffene und Einwohner der Ortschaft kucken besser weg.

 

ABRECHNUNG MIT EINER HEIMATSTADT

 

Seit langem wohne ich in Berlin und bin damit glücklich. Ich fühle mich wohl in der Großstadt mit dem üblen Leumund, ganz im Gegensatz zu meiner Heimatstadt.

I.

Wenn ich früher mit meiner Heimatstadt abgerechnet habe, lautete die Einleitung: "Kennst Du die Autobahn von Berlin nach München? Halbe Höhe, von da aus 40 km in die Pampa - und das ist noch geschmeichelt."

Zu Mauerzeiten lag meine Heimatstadt im Winkel, im Norden von Bayern ("Das ist doch Franken!", bemerken dann regelmäßig einige Berliner Klugscheißer - hat dort aber nie jemand interessiert), 30 Kilometer von der DDR-Grenze weg, 5 Kilometer von der tschechoslowakischen Grenze entfernt. Gleich zwei Staaten, die es so heute nicht mehr gibt, nur meine Heimatstadt ist noch genauso.

Die nächste Stadt, die als solche überhaupt der Erwähnung wert wäre, liegt 150 Kilometer weit weg: Nürnberg. Aber mal ehrlich: Ist Nürnberg wirklich der Erwähnung wert?

Früher benutzte man für diese abgelegene Lage auch den schönen Begriff "Zonenrandgebiet". Den kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: Zo-nen-rand-ge-biet - dann wird einem schneller klar, um welche Sorte Gegend es sich handelt.

Ein weiterer Euphemismus für die Ecke ist "strukturschwache Region". Ich konnte diesem Ausdruck nie etwas abgewinnen, weil ich ihn nicht stark genug fand, in der Region war schließlich nicht nur die Struktur schwach. Treffender erscheint mir der Fachbegriff "Anus mundi", für die Nichtlateiner: „Arsch der Welt".

II.

Fast alle Berliner waren schon mal in der Gegend - wie gesagt, halber Weg von Berlin nach München: Schullandheim, Wochendhaus, Wanderausflug. Im Kontrast zu den katastrophischen Meldungen zur geographischen Entlegenheit bekam man von den Großststädtern immer mit Verzückung in der Stimme gesagt: "Oh, das ist doch so schön grün da!"
So kann das nur ein Großstädter sagen: Die assoziieren bei Grün immer gleich Erholungswert - aber sie mußten dort ja auch nie leben und konnten nach der Safari jedes mal wieder nach Hause fahren. Die Fahrt mit der Geisterbahn ist irgendwann zu Ende, denkst du, steigst aus und bist immer noch da.

In der Tat gibt es viel Wald in der Gegend, mit Getreidefeldern dazwischen. Ausschließlich Kiefern- und Fichtenwald, eine gigantische Monokultur aus schnellwachsenden Nadelbäumen, die schon viel weiter im Norden anfängt und viel weiter im Süden aufhört. Zu meiner Zeit wurde alle zwei Wochen im Wald saubergemacht: Buchstäblich! Kein Unterholz, kein Gestrüpp - nur ordentlicher Wald, mit Bäumen, die in geraden Reihen und immergleichem Abstand gepflanzt sind. Baumplantagen. Da steht nicht zufällig mal ein versprengter Laubbaum dazwischen. Nie.

Die Rechnung kam dann mit saurem Regen und Borkenkäfern: Beide besonders wirksam in Nadelwald und Monokultur, vulgo: Waldsterben.

Am Ende der sechziger Jahre wurden in Bayern die meisten Alleen abgeholzt. Mich hat damals immer geärgert, daß niemand das als Verlust empfand: Aber es ist halt so, der Baum ist selbst schuld, wenn sich ein Autofahrer drumherum wickelt.

Nun, wenigstens diese Diskussion ist den Preußen vertraut: Sie wird nach dreißig Jahren mit völlig identischen Argumenten in Brandenburg wiederholt. Auch von den selben Beteiligten, der ADAC immer vorneweg.

Ein übriges tat die Flurbereinigung, ein Begriff, der den jüngeren so nichts sagen wird: Begradigung aller Bachläufe und Feldkanten, Entfernung aller Büsche, Hecken und freistehenden Bäume außerhalb der Nutzpflanzungen, sprich: Vollkommene Sterilisierung der Landschaft. Gemütlich, nicht?

Soviel zur Natur, aber ich bin noch nicht fertig mit abrechnen.

III.

Meine Heimatstadt ist eigentlich eine kleine Industriestadt. Das Problem ist der Gegenstand der industriellen Produktion: Porzellan, in Geschirrform, und Figuren. Außerdem Porzellanmaschinen. Sonst nichts.

Es gibt bei den unter dreißigjährigen in Deutschland Haushalte, die nicht einen einzigen Porzellanteller besitzen, schließlich tun es auch Holzbrettchen und irdene Teepötte. Seit geraumer Zeit ein ziemlich exotischer Artikel also, das Porzellangeschirr, ganz zu schweigen von den Figuren.

In meiner Heimatstadt kam diese Erkenntnis - wenn überhaupt - dummerweise ziemlich spät an: Um etwa 20 Jahre zu spät.

Ein wenig Verspätung ist dort üblich, auch in kulturellen Dingen: Der erste Punk wurde fünf Jahre nach dem endgültigen Ableben der Punkbewegung gesichtet.

Zurück zum Porzellan. Mit der Standfestigkeit, die der Provinz eigen ist, hielt man am Porzellangeschirr fest. Seither erfolgt der Abstieg, langsam aber stetig. Bis heute stemmt man sich mit der erwähnten Standfestigkeit dem Untergang entgegen - mit wenig Erfolg. Ein Prozess, der sich inzwischen seit fast dreißig Jahren hinzieht. Aber man muß ja nicht glauben, daß irgendjemand mal was neues versucht.

IV.

Verschärfend hinzu kommt, daß dort, wie in den meisten anderen Gegenden auch, die Bewohner ihre Ortschaft für die großartigste Erfindung der Welt halten.

Es gibt einen Film von David Byrne namens "True Stories", der sich mit seiner provinziellen Heimatstadt in Texas befaßt, wo gerade das "Festival of Specialness" vorbereitet wird - ihrer eigenen Specialness, selbstverständlich. In diesem Film werden viele kleine Details der Selbstverliebtheit dargestellt. Wer mal in der Provinz gelebt hat, weiß, daß das keine Karikatur ist, sondern eine sehr genaue und nur manchmal leicht ironisierte Abbildung der Wirklichkeit, jedenfalls nicht maßlos übertrieben.

Dem Besuch aus der Großstadt fällt dieses Überzeugtsein von sich selbst nicht gleich auf, weil er das für Spaß hält und nicht glaubt, daß das ernst gemeint sein könnte - immerhin gibt es da nichts, worauf man stolz sein könnte. Es ist aber ernst gemeint.

V.

Ein letztes ist die Sprache. In meiner Heimatstadt wird Dialekt gesprochen, ziemlich heftig zum Teil. Nun ist schon das Bayerische den meisten anderen Deutschen fremd und erregt Mißtrauen, für die etwas nördlicher gelegenen Stämme machen Bayerisch und Fränkisch im Klang gar keinen Unterschied. Dummerweise spricht meine Heimatstadt kein Fränkisch, wie die umliegenden Gemeinden, sondern wegen der Nähe und der alten Verbindungen zu Böhmen eine Mischung aus allen möglichen Akzenten, mit ihrer Sprache fallen die sogar in der Umgebung auf.

Wer allerdings keinen Dialekt spricht, wird mißtrauisch beäugt. Nicht von allen, selbstverständlich, aber von einigen. Es gibt sogar eine Art von Rassismus gegenüber den Hochdeutschen, was ja schon wieder skurril ist. Zu spüren bekommen das nur die, die keinen Dialekt sprechen.

Vielleicht hilft folgende Erklärung: Wer keinen Dialekt spricht, kommt im Normalfall von auswärts, klar. Für den Durchschnittsbürger von auswärts gibt es aber gar keinen Anlaß und schon gar keinen Anreiz, dorthin zu ziehen. Außer zur Arbeit, in gehobener Position, versteht sich. Wer keinen Dialekt spricht, hat also meistens studiert und kommt nur in die Ortschaft, um den Einheimischen zu sagen, wo's langgeht. Und wehe, wenn nicht.

VI.

Von einer Klage über das Wetter dort sehe ich nur deshalb ab, weil sie wirklich nichts dafür können. Trotzdem: Daß die weitere Umgebung auch von so manchem Bayern mitunter als Bayrisch-Sibirien bezeichnet wird, spricht doch für sich.

VII.

Zum Abschluß einige versöhnliche Worte, mehr oder weniger:

Jahre nach meinem Weggang werden jetzt die Ergebnisse der Flurbereinigung bereinigt, allerdings geschieht das auch sonst überall in Deutschland. Im Wald wachsen inzwischen vereinzelt Laubbäume und mitunter trifft man sogar Mischwald.

Nachdem jahrelang eine Entlassungswelle auf die andere gefolgt ist, hat man jetzt immerhin wahrgenommen, daß Porzellan ein exotischer Artikel ist - Konsequenzen hat das immer noch keine.

Seit der Öffnung der Grenzen sind die Rahmenbedingungen eigentlich viel günstiger geworden: Kurzfristig war die Gegend von der absoluten Randlage zum geografischen Mittelpunkt Europas aufgestiegen. Aber man hat damit doch keinen dauerhaften Aufschwung in Gang bringen können, und die Sache mit der Grenze war nicht eigenes Verdienst.

Sie haben auch ihr persönliches „Festival of Specialness", ein alljährliches Bierfest. Dieses macht die Stadt zu einem Ausflugsziel für Leute von weit her und dient gleichzeitig als Anlaß für alle möglichen Familien- und Klassentreffen der Ausgewanderten und Dagebliebenen.

Es gibt in letzter Zeit häufiger lichte Momente, die sich in der Veranstaltung von kulturellen und auch kommerziellen Ereignissen äußern, allein: Man spürt kein Konzept, wo doch das Defizit seit Jahrzehnten bekannt sein sollte.

Meine Heimatstadt ist so, wie wahrscheinlich hunderte andere auch. Nicht besonders einsichtig, ein wenig unflexibel und zudem von der Lage benachteiligt.

Ich selbst bin inzwischen lange genug dort weg, um mit all den Widrigkeiten meinen Frieden zu schließen - aber wie ich die Gegend jemand anderem empfehlen sollte, weiß ich bis heute nicht. Dafür habe ich zentnerweise Porzellan zu Hause - aus Freude am Material und aus meiner Heimatstadt.

 

 
Zurück zum Index
© 2001 Carsten, der  <°((( ~~<