...es gibt dinge zwischen himmel und erde...


Familienplanung

 

Ich habe einen Freund namens Tobias. Ich mag ihn gerne, obwohl... naja, wenn ich ihn beschreiben soll, sage ich zuerst immer: "Er ist nicht eigentlich dumm..."

Mein Tobi hat verschiedene sehr einseitige Begabungen. Einige sind großartig - andere sind erschreckend defizitär. Aber er ist nun mal mein Freund.

Er hat eine gute Beobachtungsgabe, er weiß genau, was um ihn herum vorgeht, er ist im Grunde das Gegenteil von dumpf - und tappt in jede Falle, die für irgendeinen Menschen auf der Welt bereit steht. Ich kenne niemanden, der mehr der Sklave seiner Reflexe und Instinkte ist, von den Hormonen ganz zu schweigen. 

Stelle ihm Alkohol hin, und er trinkt, bis er nicht mehr trinken kann. Buchstäblich. Also: Nicht bis nichts mehr rein passt, sondern bis er mit dem Glas nicht mehr den Mund trifft, oder mit dem Mund das Glas, oder jedenfalls bis er die Trinköffnung in seinem Gesicht nicht mehr unterhalb des verschütteten Getränks anordnen kann.

Am nächsten Tag geht es ihm schlecht und er bereut bitterlich. Würden wir auch tun, wenn wir dermaßen viel getrunken hätten, dabei immer angenommen, wir würden aus diesem Koma überhaupt wieder erwachen. Er schafft das, regelmäßig, und in gewissem Sinne bewundere ich ihn dafür.

Soviel zum Thema Reflexe. Wir haben mal versucht, zusammen im Kino einen anspruchsvollen Film zu kucken. Marx Brothers - das ist doch anspruchsvoll, oder? Ist es doch? Jedenfalls habe ich ihn mit meinem Lachen immer wieder geweckt. Dafür kann er billige Action-Filme und die Realität nicht auseinander halten. Also: Er behauptet ja, daß schon. Aber wenn ich ihn dabei beobachte und ihm zuhöre, kommen mir Zweifel. Er ist eben ein wenig naiv.

Gut, ich gebe zu: Er ist nicht nur „ein wenig naiv". Er ist der gutgläubigste Mensch unter der Sonne. Solange die Versprechen irgendeiner noch so dubiosen Gestalt mit seinen Interessen im Augenblick nicht allzu sehr kollidieren. Zweifel hat er jedenfalls nie - bis er das nächste mal bis zum Hals in der Scheiße steht.

Bis hier hin war aber nur die Vorrede. Jeder von uns kennt so jemanden, oder? Oder? Ihr kennt doch auch so jemanden, oder etwa nicht?


Kommen wir zum Thema „Instinkte und Hormone". Das erstaunlichste an Tobi sind seine Frauen. Jaja, ich kann mir denken, welche Frage jetzt kommt - doch, doch, er hat Frauen. Und nicht zu knapp. Sogar mehr, als ihm gut tut, und mir: Mit jeder neuen gehe ich mehr am Stock. Tobi hat ein sehr überschaubares Schema zur Bewertung seiner Frauen.

Zuerst mal sollen sie nicht besonders helle sein. Wie alle Menschen ist er nicht gerne intellektuell überfordert. Und es gibt ja die bekannte These, daß zu viel Geist bei erotischen Aktivitäten ohnehin nur hinderlich ist. Der Volksmund verallgemeinert ein wenig grob: „Dumm fickt gut!"

Außerdem bevorzugt er einige äußerliche Merkmale. Um es anschaulich zu machen: Seine großen Idole weiblicherseits sind Pamela Anderson und Mariah Carey. 

Was das „und" da soll fragt sich natürlich jeder - die beiden haben auf den ersten Blick wirklich nichts gemeinsam. Aber Tobi findet sie gut: Die eine mit den super-prallen Mega-Möpsen, der Chirurgie sei dank! Und die andere mit einem Gesicht, das nur aus Augen und ein wenig Mund besteht, und sonst nichts, keine Nase, keine Ohren und schon überhaupt keine Falten. Das reine unverfälschte Klischee. Doch, sie haben etwas gemeinsam: Ihre eigentliche, hauptberufliche Tätigkeit können sie nicht. Jedenfalls ist Pam Anderson nie durch erinnernswertes Schauspiel aufgefallen, genauso wenig wie Mariah Carey durch ihr Gesinge. Außerdem wirken die beiden schlank, im großen und ganzen.

Nun, wenn wir diese Informationen nur etwas über den zulässigen Bereich hinaus extrapolieren, kommen wir schnell zu den Vorlieben meines Freundes Tobias: Er steht auf die ganz primären Reize. Seine Frauen sind immer doof, dünn und haben eine stramme Oberweite.

Nein, das ist falsch, immerhin gibt er sich nicht mit dem Gewöhnlichen zufrieden. Also, ich korrigiere: Seine Frauen sind immer sehr doof, sehr dünn und haben eine außergewöhnlich pralle Oberweite.

Ja doch, es gibt solche Frauen. Und nicht genug damit, daß mein Freund Tobias sie findet - die sind noch nicht mal operiert. Das ist somit der Gipfel des Unwahrscheinlichen: Männer haben so alle möglichen Phantasieen und Wunschträume, aber Operiertsein ist irgendwie bäh! Es scheint tatsächlich Frauen zu geben, die wirklich jedem Klischee entsprechen - und diese Frauen laufen regelmäßig meinem Freund Tobias zu.

Gut, kommen wir zum Haken, denn selbstverständlich hat die Sache einen Haken: Tobias interessiert sich nicht für Kinder. Nein das war noch nicht der Haken, unter Männern ist das gar nicht so selten. Aber Tobias interessiert sich für bestimmte Frauen, und diese Frauen interessieren sich für Kinder. Alle. Sehr sogar. Infolgedessen hat er ein ganzes Rudel von Nachkommen. Denn irgendwie scheinen die Weibchen immer den selben dummen Gedanken zu entwickeln: „Wenn wir zusammen ein Kind haben, kann er mich nicht verlassen!"

Das ist urkomisch, denn ein Mann würde nie auf so eine blöde Idee kommen. Wenn er sich für Kinder interessiert, ist ihm egal, ob noch irgendeine Frau um seine Blagen herum sauber macht. Falls da keine Frau ist, macht er halt selbst sauber, Männer denken praktisch und wollen gerne ans Ziel kommen.
Und wenn er sich nicht für Kinder interessiert, hat ohnehin seine Ex die Gören: Wie praktisch! So kann er Mami und Papi von der erfolgreichen Arterhaltung berichten, ohne allzu viel Aufwand dafür treiben zu müssen.

Also, wir waren beim Appell der Weibchen an das Verantwortungsbewusstsein. Der ist in diesem Fall leider sehr erfolglos, weil: Tobias hat keines. Er kennt zwar das Wort - nicht aber seine Bedeutung. Seine Frauen fragen: „Wollen wir nicht zusammen ein Kind haben?" und er sagt „Klar! Warum nicht! Lass uns gleich anfangen!", wobei er natürlich glaubt, daß er für ein Kind etwa zwölftausend Zeugungsakte bekommt. Seine Frauen sind da realistischer: Sie wissen, daß schon einer genügt, wenn nur das Timing stimmt. Man trifft sich dann meist in der Mitte - etwa zwei Monate nach Tobis Zustimmung ist die Sache üblicherweise geklärt.

Weitere drei Monate später schwindet das Interesse der Frauen an sexuellen Aktivitäten, und auch die körperlichen Möglichkeiten sind eingeschränkt. Tobi erinnert sich in solchen Fällen an alte Freunde. Nein, nicht an mich, sondern an den Alkohol und den Videorecorder.

Einige Zeit nach der Geburt kommen dann alle Beteiligten endlich zur Besinnung, Bewusstsein, oder welcher Begriff für diesen Zustand auch immer zutreffen mag. Es kommt jedenfalls in beiden Gehirnen zu einem Abgleich von Soll und Ist. Das Ergebnis ist ungünstig: Tobias hat inzwischen bemerkt, daß von seinen zwölftausend Zeugungsakten noch etwa elftausendneunhundertfünfundfünfzig offen sind. Daß er bei dieser Erfolgsquote in kürzester Zeit einer ganzen Armee von Quälgeistern das Leben geschenkt haben wird, ist selbst ihm klar. Und dass bei den inzwischen eingetretenen Verkehrsintervallen nicht einmal vierhundert Jahre reichen würden, auch.

Dabei ist gleichzeitig das Verlangen von Frau und Kind nach Zuwendung, Aufmerksamkeit und Einkommen doch überraschend hoch. Eine Situation, die er bei einem guten Glas und in Gesellschaft von Freunden erst einmal überdenken muss.

Der Mutter des Kindes ist bei all ihren Defiziten doch der Mangel an Konzentration seitens des Kindsvaters nicht entgangen. Sie versucht dies zu unterbinden, aber ihr fehlen die Möglichkeiten, genauer gesagt: Die Druckmittel. Der Fluchtinstinkt des Erzeugers siegt. Irgendwann trennt man sich.

 

Bei Tobi habe ich seit einiger Zeit den Überblick verloren, der Bericht zeigt ja schon, daß genug Forschungsmaterial zur Verfügung stand. Inzwischen ist er bei der vierten oder fünften Frau und dem vierten oder fünften Kind. Eines wurde zur Adoption freigegeben, ein weiteres lebt bei den Großeltern. Manchmal frage ich mich, ob er selbst sich alle Namen merken kann - und will. Vielleicht nennt er deshalb jede neue Freundin „Diddlmaus" und sagt zu jedem Kind seit dem zweiten „Nummer Fünf - lebt!"

 
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© 2006 Carsten, der  <°((( ~~<