# die Prüfung der Echtheit
erfolgt bisweilen
nicht in Echtzeit #

 
   

Scheckkarten

 
  I  
  Damals fing ich an, Scheckkarten zu verkaufen. Von irgendwas muss der Mensch doch leben. Einen kleinen Haken musste die Sache allerdings haben, nicht wahr, weil: Wer verkauft sonst schon eine Scheckkarte? Die Scheckkarten waren leider nicht ganz echt.  
  Es war denkbar einfach: Ich kam irgendwo mit so einer Pappnase ins Gespräch...
...ah, Entschuldigung! ...mein Temperament!
Nein! Natürlich KEINE PAPPNASE!
Nein, ein KUNDE selbstverständlich. Selbstverständlich!
 
  Ich kam also irgendwo mit einem potentiellen Kunden ins Gespräch, und wir plauderten, und ich brachte das Gespräch zuerst auf Geld und dann irgendwann an den Punkt, wo er sagte "Jaja, eine Scheckkarte die nie leer wird müsste man haben." Na, so sinngemäß. Sie kamen eigentlich alle immer fast ganz von selbst auf diese Idee. Merkwürdigerweise immer auf annähernd dieselbe Idee. Und ICH konnte ihnen helfen. ICH HATTE nämlich Scheckkarten, die niemals leer werden. Lustigerweise verhielt es sich dabei regelmäßig so: Je mehr Geld einer schon hatte, desto gieriger war er darauf bedacht, mir eine meiner Scheckkarten abzukaufen.  
  Also, anfangs nicht, da wurden die Scheckkarten noch leer. Anfangs verkaufte ich ihnen nur Karten, mit denen sie bezahlen können - aber auf denen nicht ihre eigene Kontonummer stand. Dass das Geld nicht von ihrem, aber selbstverständlich von einem anderen Konto kommen musste, wollten sie gar nicht wissen. War ihnen aber schon so klar. Es handelte sich sowieso oft um Leute, die ständig mit Geld zu tun haben, Kaufleute, Händler, Boutiquenbesitzerinnen, Hausverwalter, Makler. Das ist besonders lustig, wenn man weiß, dass man mit meinen ersten Karten nichts großes bezahlen konnte, sondern nur so täglichen Bedarf, nur Essen, Trinken oder Zigaretten und die Fernsehzeitung. Können sollte. Man konnte nämlich gar nicht damit bezahlen. Aber das wussten meine Kunden ja nicht. Sonst hätten sie doch womöglich meine Karten gar nicht gekauft?  
  "Und ... (Zögern) ... nur mal angenommen ... sie ... hätten so eine Karte ... was ... was ... würde so eine kosten?"
"Vierzehn."

"Vierzehn? Vierzehn was?"
"Vierzehn hundert."
Dann mussten sie erstmal schlucken. Und fingen sofort an, mich herunterzuhandeln. Immer. Ein Reflex offensichtlich. Einige machten sogar eine Rechnung auf, wie lange sie wohl mit dieser Karte brauchen würden, um die vierzehnhundert wieder reinzuholen. Einer oder zwei empörten sich: Das sei ja ganz schön teuer! So viel sei eine solche Karte wirklich nicht wert! Mal ehrlich, sind sie etwa empört, wenn ihnen etwas völlig egal ist? Ich nicht. Ich ging dann mit dem Preis um hundert runter. Manchmal lachten wir verschwörerisch: "Jaja, die Mehrwertsteuer!"
 
  Vierzehnhundert, das war damals so viel, wie ein kleiner Angestellter im Monat netto verdiente. Also: Eigentlich nicht wenig. Deshalb hatte ich auch nie ein schlechtes Gewissen: Wer vierzehnhundert ausgeben kann, um andere Leute zu bescheißen, hat's nicht anders verdient.  
 

Aber wenn sie mal verstanden hatten, ging wirklich jeder auf mein Angebot ein - sie waren total scharf darauf: Für vierzehnhundert Sauerkraut und Dosenmilch an der Supermarktkasse mit fremdem Geld bezahlen.

 

 
  2  
  Mein Verfahren war denkbar einfach: Es gab mehrere Systeme, um mit den Karten zu bezahlen. Bei einem verbreiteten System musste man die Karte durch einen Kartenleser ziehen, aber keine Geheimnummer eingeben, sondern anschließend nur einen Beleg unterschreiben. Das bedeutete: Die Echtheit der Karte wurde nicht in Echtzeit geprüft. Heißt: Es gibt keine Rückmeldung von der ausgebenden Bank, ob die Karte vielleicht überzogen oder gesperrt ist.  
  Ich traf meine Geschäftspartner in irgendeinem Lokal am Tresen und führte so ein Vorgespräch wie oben beschrieben. Meine Kunden wollten natürlich immer den unumstößlichen Beweis, dass die Sache auch funktioniert. Dazu verabredete ich mich für den nächsten Tag mit ihnen in einem Supermarkt. Sie sollten schon mal ausreichend Bargeld mitbringen. Ich erklärte immer offenherzig, dass die Karte wirklich nur dort funktioniert, wo man ohne Geheimzahl bezahlen kann, aber dann hundertprozentig. Und das ist erfahrungsgemäß immer dort, wo es sich nur um kleinere Beträge handelt, Lebensmittel, Restaurants, Schuhe manchmal. Nicht mal tanken konnte man damit. Aber die Leute witterten eine Gelegenheit und die Gier siegte zuverlässig. Jedes mal.  
  Technisch erklärte ich es so, dass der Chip ein wenig getunt sei, von einem Elektrotechnik-Studenten. Dadurch würde die Bestätigung der Bank so lange zurückgehalten, bis sie wegen eines offensichtlichen Fehlers gelöscht würde. So habe ich ihnen das jedenfalls erklärt. .  
  Und ich schärfte ihnen ein, dass sie die Karte wirklich nur dort einsetzen durften, wo man ohne Geheimzahl nur mit Unterschrift bezahlt - so ganz, ähm ... sauber ... sei die Sache halt doch nicht.  
  Wir beide wussten natürlich, dass das, was ich ihnen da verkaufte, durch und durch illegal, strafbar und betrügerisch war. Ich erzählte ihnen das mit der Unterschrift aber doch nur, damit sie einen kleinen Köder hatten: Sie wussten alle, dass die Sache einen Haken hatte - ich wollte ihnen nur nicht sagen, wo genau. Buchstäblich erwarteten sie irgendeine kleine Einschränkung dafür, dass sie vermeintlich straflos beim Einkauf betrügen konnten.  
  Ich ging dann mit ihnen im Supermarkt einkaufen und bezahlte vor ihren Augen mit der Karte und einer Unterschrift. Ich hatte eine eigene Karte ein wenig mit einem Heiß-Prägegerät bearbeitet, so dass man den Namen nicht mehr als meinen lesen konnte. Ich bezahlte also mit meiner eigenen Karte. Warum auch nicht, ich hatte ja auch Hunger und brauchte Zahnpasta. Und schließlich: Kann es denn Betrug sein, wenn ich NICHT betrüge? Dann steckte ich die Karte wieder in meine Jackentasche und ging raus - meine Kunden wollten mir nie direkt an der Supermarktkasse vierzehnhundert Eier in die Hand drücken. Draußen gingen wir in ein Café und es kam zur Übergabe. Aus der Jackentasche zog ich eine Karte und tauschte sie gegen das Bargeld. Dann verabschiedeten wir uns, meist nahm ich ein Taxi zum Bahnhof.  
  Eigentlich bin ich stolz auf diesen Vorgang, meine ganz eigene Erfindung: Dafür braucht man noch nicht mal viel Geschick, keine Zauber- oder Taschenspielertricks. Man zieht einfach die zweite Karte aus der Jackentasche, das merkt kein Schwein. Für was anderes fehlt mir auch die Fingerfertigkeit.  
 

Ich wollte nie lange genug bleiben um herauszufinden, was wirklich mit meinen Käufern passierte. Ich hatte ihnen natürlich nicht die Karte gegeben, mit der ich im Supermarkt an der Kasse war. Sondern nur eine, die genauso aussah. Die zog ich aus der Jackentasche und gab sie meinen Kunden.

 

 
  3  
  Die Karten bezog ich von einem Freund, den ich aus dem Knast kannte. Das klingt gut, was? Und gefährlich!  
  Na gut, ihnen kann ich's ja sagen: Ich war mal wegen einem Bußgeld im Bau, das ich nicht bezahlt habe, vierzehn Tage, für Geschwindigkeitsübertretung. Aber man lernt dort interessante Leute kennen. Und der eine ist eben mein Bekannter Anton, Freund wäre zu viel gesagt - aber jedenfalls habe ich zu ihm keine Geschäftsbeziehung wie zu meinen Kunden, auf Anton kann ich mich wirklich verlassen, und er sich auf mich.  
  Anton ist Taschendieb, er filzt in Bussen, Kaufhäusern und Menschenmengen Leute. Aber er ist ein anständiger Kerl: Papiere wirft er in einen Briefkasten, damit sie an den Besitzer zurückgeschickt werden. Das Bargeld behält er, die Scheckkarten bekomme ich, gegen einen wirklich kleinen Obolus. Mit Scheckkarten kann er nichts anfangen, die normalen Scheckkartenverwerter sind ihm als Geschäftspartner zu heiß. Mit der Mafia will er nichts zu tun haben. Aber ich bin harmlos, er weiß das und so kooperieren wir.  
 

Er verkauft mir regelmäßig einen Stapel Scheckkarten, ich nehme die, die Ähnlichkeit mit meinen beiden eigenen haben und bearbeite sie entsprechend mit dem Prägegerät. Wenn ich die Karten herausgebe, sind sie natürlich längst als gestohlen gemeldet, meist seit Wochen. Deswegen muss ich mich aus dem Staub machen, bevor meine Kundschaft die Karte ausprobieren kann. Wenn sie an der Kasse stehen und irritiert feststellen, dass ihre geklaute Karte Alarm ausgelöst hat, bin ich über alle Berge - mit einem Monatseinkommen.

 

 
  4  
  Ich würde gerne ein Buch über ihre Ausreden schreiben, wenn sie von der Polizei wegen der geklauten Karten vernommen wurden. Ich hatte außerdem erzählt, dass man die Kartennummer nicht zurückverfolgen könnte und sie deshalb beliebig oft benutzt werden kann. Ich vermute aber, dass sie spätestens nach ein paar Wochen geschnappt wurden. Leider weiß ich es nicht so genau, war ja nie dabei. Dann mussten sie der Polizei sicher erklären, wie das sein kann, woher sie die Karte haben:  
  "Och, die hab ich gefunden..."
"Und dann haben sie damit bezahlt?" Schnaufen des vernehmenden Polizeiobermeisters.
"Ja, aber wirklich nur einmal - ich wollte eben wissen, ob die noch geht..." Unschuldiger Augenaufschlag.
"Aha."
"Najaaaa, das war ein Versehen, und..."
"Diese Karte wurde vor einem halben Jahr gestohlen. In den letzten Wochen wurde hier in der Umgebung acht mal mit dieser Karte eingekauft - und sie haben sich achtmal ... versehen?"
"Ja, naja, wissen sie ..."
 
  Ich hätte ein Monatsgehalt dafür gegeben zu sehen, wie sie sich winden, um da wieder raus zu kommen. Sie konnten ja schlecht sagen, dass sie eigentlich für viel Geld ein funktionierendes Betrugswerkzeug kaufen wollten und keine Attrappe. Am Ende waren sie mit ziemlicher Sicherheit vorbestraft.  
 

Eine Geschäftsfrau mit einem Maklerbüro und einer Hausverwaltung traf ich später noch einmal auf der Straße. Entrüstet zischte sie mich an: "Sie sind doch der Schwindler mit der Scheckkarte! Sie Betrüger!" Und ich entgegnete kühl: "Zeigen sie mich ruhig an!" Ein schöner Triumph.

 

 
  5  
  Ich habe die Nummer etwa einmal in der Woche durchgezogen. Hab dabei ganz ordentlich verdient. Jedes mal in einer anderen Stadt. Dadurch war ich immer auf Achse und lernte Deutschland kennen, ein ewiger Tourist in deutschen Landen. In größeren Städten blieb ich auch mal länger. In die kleineren Orte bin ich mit dem Bus gefahren, habe irgendwo auswärts in meinem Transporter übernachtet, das war unbequem, aber unauffällig. In großen Städten konnte ich wenigstens in Hotels gehen.  
  Aber vor einem Jahr geriet ich an einen, der passte auf. Das war unangenehm.  
  Eigentlich alle meine Kunden versuchten natürlich, die Karte schon vor dem Deal in die Finger zu kriegen. Das konnte ich leider leider auf keinen Fall gestatten. Sie sollten sich die Karte ja vorher nicht zu eingehend ansehen können. In den Kneipen zeigte ich ihnen die Karte, aber natürlich nicht so genau, dort war immer der Wirt, oder andere Gäste, es wäre aufgefallen wenn sich zwei erwachsene Menschen genießerisch, in Vorfreude auf den gelungenen Schwindel, über eine Scheckkarte beugen. Und meine Kundschaft sollte vor allem nicht so genau sehen, dass am Chip wirklich nicht die geringsten Bearbeitungsspuren waren.  
  Jedenfalls fand ich schon immer einen Grund, weshalb ich die Karte nicht aushändigen müsste. Nur dieser eine miese Kerl legte mich rein: Der war bauernschlau, noch viel schlauer als die anderen, die es ja immerhin zu so viel Wohlstand gebracht hatten, dass sie vierzehnhundert nicht sonderlich kratzten. Dieser Oberkluge war schon mit mir im Supermarkt und sprach mich kurz vor der Kasse an: Er war misstrauisch und verlangte, dass ich vor dem Bezahlen einen gelben Punkt auf die Karte klebe, damit sie nicht vertauscht wird. Ich sah ihn erst an, als würde ich nicht richtig verstehen... dann sagte er "Doch, doch, sie verstehen mich schon: Kleben sie den Punkt auf die Karte!"  
  Er hatte extra ein Heft mit Klebepunkten dabei. Und irgendwie schien er meinen Trick zu kennen. Oder er ahnte etwas.
"Und wenn ich das nicht tue?"
„Doch sie tun's!"
„Machen wir halt kein Geschäft."
"Dann rufe ich laut, dass sie mit einer gefälschten Karte herumlaufen. Sie werden schon sehen!"
 
  Naja, dann musste ich also: Ich klebte den gelben Punkt auf meine echte Karte und bezahlte damit. Er passte auf wie ein Schießhund und ich war auf diesen Moment wirklich nicht vorbereitet. In der Jackentasche konnte ich nicht den Punkt vertauschen, er erwischte mich eiskalt. So ein Mist.
Draußen sagte er: "Und jetzt stecken sie beide Hände in die Hosentaschen und wir gehen ins Café und machen unser Geschäft."
 
  Bauernschlau, wie gesagt. E-kel-haft.  
  Dort bekam ich tatsächlich meine vierzehnhundert. Aber er bekam MEINE Scheckkarte. Eine von zwei echten, die ich hatte. Dann machte ich gute Miene zum bösen Spiel und wir verabschiedeten uns. Ich war sehr ärgerlich.  
  Sofort anschließend meldete ich die Karte als gestohlen. Bei einem Raub mit Körperverletzung. Das sollte das Interesse der Strafverfolger ein wenig anheizen.  
  Nur für diesen Notfall hatte ich nämlich die zwei Konten eingerichtet: Einen Obdachlosen mit seinem Ausweis in eine Bank geschickt und auf seinen Namen ein Konto eröffnen lassen. Dann verursachte ich dort ein paar Kontobewegungen und schickte ihn nach ein paar Tagen noch einmal hin, um die Scheckkarte abzuholen. Danach zahlte ich in unterschiedlichen Filialen immer grade so viel Geld ein, wie ich für die Supermarkteinkäufe brauchte. Wenn es zurückverfolgt wurde, würde man allenfalls bei dem Obdachlosen landen - Sackgasse.  
  Eigentlich war mein Schaden also halb so schlimm. Aber so ein Konto machte viel Arbeit. Und am ärgerlichsten war, dass mich dieser Schweinehund hereingelegt hatte!  
  Ich hatte nicht übel Lust, ihn zu verfolgen und zu beobachten wie er auffliegt. Oder gegen ihn auszusagen. Aber ich bin ein Angsthase. Und zudem recht bequem. Und vielleicht bin ich rachsüchtig - aber kein Idiot. Ließ ich also die Sache auf sich beruhen.  
 

Aber das brachte mich auf die Idee mit den manipulierten Chips.

 

 
  6  
  Wenn meine Kundschaft erwischt wurde, musste sie womöglich den Schaden ersetzen, den sie mit der Karte angerichtet hatte. Weil man ihnen dann fast jeden Einkauf nachweisen konnte:
„Wir haben da einen kleinen Film, von der Sicherheitskamera an der Kasse im Kaufpark ... wollen sie den mal sehen?"
Wollten die meisten bestimmt nicht.
 
  Ich malte mir aus, wie diese Leute im Pelz oder im teuren Anzug sich in den Discountmärkten die Einkaufswagen voll stapelten, in der Gewissheit, dass es ja nichts kostet, mit lauter Sachen, die sie gar nicht brauchten. Wie sie allmählich unvorsichtiger und immer maßloser wurden, das dauerte bestimmt nicht lange, wenn sie beim ersten mal nicht erwischt wurden.
Ich malte mir aus, dass sie einen Haufen Zeug einfach weggeworfen hatten - kostet ja nichts! - und nun auch dieses bezahlen mussten. Und dass einige begonnen hatten, einen Teil unter der Hand an Bekannte weiter zu verscherbeln, weil sie ja so u-u-unglaublich günstig einkaufen konnten.
„Soll ich Dir noch was mitbringen? Wirklich billig!"
Und dass einer oder zwei die Regale im eigenen Laden mit dem unlauter erworbenen Gut bestückte.
 
  Ich dachte, dass vielleicht die sympathische Hausverwalterin bei der Befragung der Polizei hartnäckig geleugnet hatte, und dass die anschließende Hausdurchsuchung zu der vollgestopften Tiefkühltruhe in ihrem Keller führte. Und zu der zweiten, ebenfalls vollgestopften Tiefkühltruhe daneben, die sie nur aus diesem Grunde hatte anschaffen müssen. Sowie zu der überquellenden Mülltonne, mit den Resten der Einkäufe. Und dass die Hausverwalterin sich schon Sorgen über ihr Gewicht machte, das seit Beginn dieses Lebens im Überfluss ständig zunahm.  
  Die meisten dachten kaufmännisch, und ich fand den Gedanken gar nicht abwegig, dass etliche versuchten, die vierzehnhundert möglichst schnell wieder hereinzubekommen. Wenn sich das beweisen ließ, war es schon Hehlerei, nicht mehr nur Scheckkarten-Missbrauch.  
  Wahrscheinlich fast alle lebten in den nächsten Wochen nur noch von Champagner, Austern und Trüffeln - und von all dem, was die Theken in den Kaufparks eben so an Feinkost hergeben. Und wahrscheinlich mussten viele am Ende den Champagner, die Austern und Trüffel bezahlen, die sie nie heruntergewürgt hätten, wenn sie nicht umsonst gewesen wären. Zuzüglich eines ordentlichen Bußgeldes, etwa in der doppelten Höhe des Schadens.  
  Wenn sie sich später fragten, wessen Schuld das wohl war, dachten sie sicher ausschließlich an mich: ICH hatte ihnen schließlich eine falsche Karte verkauft - eine, mit der sie erwischt werden konnten.
Wahrscheinlich suchten sie die Schuld auch bei den habgierigen Supermarktbesitzern, die ja den Vorfall nicht unbedingt hätten melden müssen, so eine Kleinigkeit, oder die so unbedingt und gnadenlos auf Schadenersatz bestehen. Eigene Schuld wollten sicher die wenigsten zugeben.
 
  Ich selbst sehe meine Tätigkeit in einem ga-a-anz anderen Licht: Ich habe diesen Leuten ein untaugliches Betrugswerkzeug verkauft. Also: Damit habe ich ihnen sogar einen Gefallen getan, oder? Sie wollten schwindeln und sie wurden daran gehindert. NA UND? Ehrlichkeit ist doch was feines?  
 

Na schön, um ehrlich zu sein, ich geb's ja zu: Ich HABE sie in Versuchung geführt, das ist wohl kaum zu bestreiten. Aber das Leben ist manchmal so. Wir müssen nicht jeder Versuchung gleich nachgeben - wo kämen wir denn da hin?

 

 
  7  
  Mit den manipulierten Chips wurde die Sache noch interessanter. Irgendwann fragte ich mich: Warum denn nur Supermärkte? Warum denn nur täglicher Bedarf? Warum sich mit Brosamen zufrieden geben? Jeder ehrgeizige Geschäftsmann möchte sein Geschäft gerne erweitern, so auch ich. Also die Umsätze mussten steigen. Die deutlichste Beschränkung war die Bezahlung mit Unterschrift statt mit Geheimzahl. Bei Bezahlung mit Geheimzahl ließen sich viel größere Rechnungen begleichen, vielleicht sogar Geld am Automaten abheben: Dort lag meine Zukunft.  
  Ein befreundeter Elektrotechnik-Student kopierte Daten von meiner echten Karte auf die Karten, die ich von Anton erhielt. Er musste die Daten ein wenig bearbeiten, aber am Ende wurde die Geheimzahl abgefragt und bestätigt. Dann wurde die Rückmeldung von der Bank blockiert, für den Benutzer wirkte das so, als sei das System abgestürzt. Aber man hatte ja die Geheimzahl eingegeben und bestätigt bekommen. Also sah es so aus, als wäre alles korrekt.  
  Für mich hatte es den Vorzug, dass ich zum Beispiel im Restaurant bezahlen konnte. Ich musste die Karte nach dem Vorgang nicht mehr einstecken, sondern ließ mir beim Grappa vom Kunden einen Stapel Scheine geben und überreichte die Karte. Ein Unfall wie mit dem Bauernschlauen kam so nicht mehr vor.  
  Weil man damit viel größere Summen bezahlen konnte, war die Karte natürlich auch mehr wert: Schuhe, Elektronikartikel, Autozubehör, schicke Restaurants - und man konnte damit tanken!
„Was hatten sie gesagt ... wie ... viel ... soll sie kosten?"
„Achtunddreißig."
„Puh, also ... das ist ... schon ein Haufen Geld..."
 
  Ich durfte mich nicht zu früh oder zu weit herunterhandeln lassen, sonst wären sie misstrauisch geworden. Außerdem hatte ich jetzt meine Ausgaben: Der Student verlangte vierhundert pro Stück. Die bekam er auch, es war immerhin sehr gute und wertvolle Arbeit, die er da machte. Aber mit den alten Karten hätte ich das nie bezahlen können.
Leider konnte ich die Kosten für den Studenten nicht von der Steuer absetzen. Ich zahlte ja keine Steuern. Andererseits, vielleicht konnte man eine Konstruktion erfinden, mit der man den Studenten regulär anstellen und... ach nein, wenn man zu maßlos wird, ist das schnell der Anfang vom Ende. Ich wollte lieber bescheiden bleiben.
 
  Wenn mich meine Kundschaft fragte, warum ich die Karten überhaupt verkaufe, sagte ich „Weil man damit am Automaten kein Geld abheben kann - und von irgendwas muss ich doch meine Miete zahlen." Das leuchtete ihnen ein. Wenn sie dann gesehen hatten, wie das Bezahlen funktioniert, sahen sie auch ein, dass die Karte vom Automaten vielleicht einbehalten werden würde. Damit meine Kundschaft wenigstens ein bisschen Freude an der Karte hatte, schärfte ich ihnen also ein: NIEMALS AM GELDAUTOMATEN!  
  Die meisten erwischte es wahrscheinlich beim Tanken. Sie wollten ja alle unglaublich billig Autofahren. Je größer das Auto, desto eindringlicher fragten sie mich „Wirklich auch an der Tankstelle?" Was ist an so einer Tankstelle besonderes? Ich fahre zu Hause immer mit dem Bus. Anscheinend reicht das Geld immer grade so für das große Auto - aber anschließend nur schwer für die Tankfüllung.  
  Im Gegensatz zu Restaurants oder Boutiquen haben alle Tankstellen Videokameras - gegen Benzindiebstahl. Wer tankt und losfährt, ohne zu bezahlen, ist jedenfalls auf dem Film und wird angezeigt. So ähnlich lief das auch mit meinen Kunden: Wenn kein Geld, dann Anzeige - nur eben später. Und wenn die Polizei den vielen Zahlungen mit der gefälschten Karte erstmal einen Namen zuordnen konnte - oijoijoi, das war bestimmt nicht billig.  
 

Nunja, die Leute gaben mir fast dreieinhalbtausend für die Hoffnung, niemals mehr für so wichtige Dinge wie Schuhe und nettes Essen zu bezahlen. Aber irgendwer würde sicher bezahlen müssen...

 

 
  8  
  Für einen Batzen Geld bewirkt mein Student wahre Wunder. Wenn er sich eine Weile in unserer Werkstatt einschließt, probiert er neue Techniken aus und wendet alles an, was er im Studium lernt. Ein lohnendes Praktikum. Neulich kam er an und sagte, dass es funktioniert, dass er die Karten jetzt richtig tunen kann. Es ist nur viel Arbeit, am Computer und unter dem Mikroskop, er braucht zwei oder drei Wochen für eine Karte.  
  Von einer immervollen Geldkarte träumen alle, ich natürlich auch: Ein Goldesel. Dummerweise bin ich in der Kartei der Polizei gespeichert, mit Bild und Unterschrift und Fingerabdrücken. Und an den Geldautomaten wird bei der kleinsten Unregelmäßigkeit immer fotografiert. Wenn die mich auf so einem Foto erkennen, buchten sie mich ein. Aber ICH HABE so eine Karte mit getuntem Chip. Und sie funktioniert!  
 

 

Wollen sie die zufällig kaufen?

 
 


 

 

 
     

 

 

 
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© 2006 Carsten, der  <°((( ~~<