DER BÖSE BLICK
 
oder
 
ALLES AN DIESEM GERÄT SAGT: VERSUCH NICHT, MICH ZU REPARIEREN!
 
 
  I.
 
 
Es ist eine dieser Phasen im Leben, in denen so ziemlich alles schiefgeht: Jeder hat sowas mal - nicht wahr?

Beide Armbanduhren haben den Dienst aufgegeben. Das schnurlose Telefon versagt. Das Auto ist stehengeblieben. Das Ladegerät vom Akkubohrer ist verschwunden. Und neuerdings streikt der Drucker.

Habe ich den bösen Blick, oder was?

"Halb so schlimm", sagt die Kollegin, "nimm halt den alten Drucker", ein schwarzweißer Tintenpisser. Vorher war's farbig, aber wenn man keine Wahl hat...

Gesagt, getan und angestöpselt, und was soll ich sagen? Weshalb wohl stand das Gerät jahrelang unbenutzt im Weg? Der gleiche Fehler. Genau wie vorher beim Farbdrucker. Nur daß eine Farbe (schwarz) minus einer Farbe (schwarz) annähernd null Farben ergibt. Nicht etwa genau null Farben, so präzise wissen Computer das nicht, wie seit dem legendären Pentium-Mißgeschick bekannt ist.

Eigentlich übrigens exakt derselbe Fehler, den ich neulich beim selben Modell in einem befreundeten Büro beobachten konnte: Erst glaubt man, daß die Patrone mal gewechselt werden muß. Es ist auch wirklich nicht mehr viel Tinte drin. Danach wird die Qualität für die nächsten gut zwölf Seiten spürbar besser (Placebo-Effekt bei Druckern?)

Dann Rückkehr zum gewohnten Bild.

Ein erneuter Aufschub ist durch simples Reinigen der Druckdüsen an der Tintenpatrone zu erzielen. Man nimmt sie raus und wischt mit einem Tempotaschentuch und ein wenig Spucke drüber: Weitere sechs zufriedenstellende Seiten (wirklich kein Placebo-Effekt?). Sagen Sie nicht, Sie hätten das noch nie probiert! Das wird vom Hersteller und allen wirklich ernstzunehmenden Computerfachleuten natürlich strengstens untersagt:

"Reinigen Sie NIE die Druckerdüsen mit
einem TEMPO und EIN WENIG SPUCKE!

NIE!

WEHE!"


Vermutlich wird durch die mikroskopisch kleinen, getrockneten Spucke-Makromoleküle die magnetisch-dielektrische Resonanz zwischen Druckerdüse und Papier so empfindlich gestört, daß am Gerät schwerste psychische Schäden zu befürchten sind.

"Unbekannter Druckerfehler –
Setzen Sie die Atemmaske auf,
verlassen Sie umgehend den Raum
und rufen Sie Ihren zuständigen Priester!"

Der Weltuntergang naht. Armageddon!


  II.


Aber! Es gibt häufig ein "aber": Der Fehler ist reproduzierbar.

Lektion Eins jedes Fehlersuchkapitels in einem ernstzunehmenden Buch für Computer-Amateure (sind wohl auch die meisten Programmierer): „Tritt der Fehler regelmäßig auf? Versuchen Sie, den Fehler zu reproduzieren."

Erkenntnis eins jedes echten Computer-Amateurs (auch die meisten Programmierer): Der Fehler ist nicht reproduzierbar. Auf Computerdeutsch sagt man "Random Error!", denn selbstverständlich gibt es einen Fachbegriff dafür, so selten tritt der Fehler auf.

Übersetzt für den Laien heißt das "Zufälliges Versagen". Nicht etwa, wie manch einer vorschnell meinen könnte, "zufälliger Irrtum", Irrtum setzt Wissen voraus.

M e i n Fehler unterscheidet sich allerdings. Er ist anders als die anderen. Man merkt es nicht gleich, weil sich das Auge von den vermeintlich zufälligen Klecksen sofort angewidert abwendet.

Nur wenn man trotzig nach dem erneuten Tauschen der (vollen) Patrone und dem erneuten Abwischen der (sauberen) Düsen einen weiteren (erfolglosen) Druckversuch startet, und versehentlich den neuen "Fehldruck" neben den alten "Fehldruck" legt, wird einem vielleicht das perfide System bewußt: Die beiden Seiten sind identisch. Identisch verkrakelt.

Aha?!?

Was will uns das sagen? Verzweifeltes Graben in allgemein menschlicher Lebenserfahrung sowie in den Grundlagen von mathematischer Logik und Mengenlehre fördert n i c h t s vergleichbares zutage: Fehler sind nie völlig gleich.

Ein Softwarefehler? Nach vier Jahren ist ein Drucker gerade mal richtig eingefahren, da kann er doch nicht einfach ... abweichen? Ich scheue auch den Ausdruck "Versagen", da es sich doch um zutiefst systematische Andersartigkeit der Ausdrucke handelt. Ratlosigkeit macht sich breit.

Sollte es sich tatsächlich um eine dieser sagenhaften S o l l b r u c h s t e l l e n handeln, deren Entwicklung man in früheren Jahren immer nur den Autoherstellern zutraute, das allerdings mit nagendem, nie ganz zu stillendem Argwohn?

Spricht doch vieles dafür: Die Geräte sind vom gleichen Hersteller (zwei HP500 und ein HP560c, von ->Hewlett-Packard<-, das mußte mal raus), zwischen vier und sechs Jahren alt, dieselbe Serie, zwei direkt aufeinander folgende Generationen, und fallen innerhalb eines halben Jahres der elektronischen BSE zum Opfer. Habe ich mir über Jahre alle Nasen lang immer die neuesten Treiber besorgt und installiert und beim fünften oder sechsten Hochfahren wie einen grandiosen Sieg gefeiert und jetzt das?

NIEMALS!

Das leidgepüfte Gemüt denkt jetzt über die mögliche Ursache nach: Wenn ES in der Software steht, muß ES zeitabhängig sein - niemals darf ein Hardwareteil innerhalb der Garantiezeit versagen. Der zuständige Entwickler würde sofort hauchdünn ausgerollt und in Streifen zerteilt, durch seinen eigenen Printer geschoben und mit einem hübschen Muster bedruckt.

Setzen wir also mal versuchshalber die Rechneruhr drei Jahre zurück. Und?

Nichts. So clever waren die also auch. Tja. Was bleibt einem dann noch, außer der Axt?

Aaahjaa, viel besser: Der Schraubenzieher. "Alles funktioniert wieder, wenn man lange genug dran rumfummelt" (1. Buch Murphy, § 5/2 ff.).

Und hurtig das Gerät geöffnet. Komisch, das geht ganz leicht, man muß dafür KEINE EINZIGE SCHRAUBE LÖSEN.

Haben sie schon mal ein technisches Gerät gesehen - ganz egal, irgendeins! - bei dem man keine einzige Schraube lösen mußte, um es aufzukriegen? Ich hatte mal ein Auto, da mußte man die Batterie ausbauen, um eine Glühbirne zu wechseln. Das war ein Diesel, mit einer riesengroßen Batterie.

Aber diese Firma will sich um die Gewährleistung drücken: "Haben Sie das Gerät etwa geöffnet? Die Garantie erlischt sofort, wenn Sie das Gerät geöffnet haben. Da sind doch Kratzspuren! Stimmt's, Sie haben das Gerät geöffnet?"

Werden Sie ruhig rot, aber bekennen Sie nichts! DIE müssen IHNEN das beweisen. Außerdem geht diese Kiste dermaßen leicht auf...

Und alles im Inneren dieses Druckers sagt:

VERSUCH NICHT, MICH ZU REPARIEREN!

FINGER WEG!

DAS SCHAFFST DU NIE!

DU NICHT!


Nun sitze ich also hier vor gar nicht mal so vielen Einzelteilen, drei größere Plastikeinheiten, zwei gut zu unterscheidende dicke Kabel, und starre die daraufgeklemmten Platinen an: Nix zu sehen. Wie denn auch, das ist ja das Geheimnis der Elektronik, daß man nichts sieht, und es funktioniert trotzdem, manchmal.

Nichts zu sehen, außer den fünfzehn verblüffend ähnlichen Steckern, die ich abziehen mußte, um die drei Plastikteile auseinanderzukriegen.


Mein Bildschirm flackert.


 

 
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© 2000 Carsten, der  <°((( ~~<